Die Brennstoffzelle und das Tal des Todes

Gastkommentar von Peter Schwerdtmann

„Das ist das Tal des Todes“, nennt Thomas Brachmann die Phase, die vor der Wasserstoff-Wirtschaft liegt. Gemeint ist das alte Henne-Ei-Problem: Brauchen wir mehr Wasserstoff-Tankstellen, damit das Brennstoffzellen-Auto eine Chance bekommt oder brauchen wir erst mehr Fahrzeuge, damit sich die Tankstellen lohnen. „Da müssen wir jetzt durch“, sagt uns der Wasserstoff-Experte in der Forschung und Entwicklung von Honda in Europa jetzt bei der Vorstellung des Honda Clarity Fuel Cell in Kopenhagen.

Die Entwicklungsabteilungen der Automobilindustrie haben genug vor der Brust. Muss es da denn auch noch die Brennstoffzelle sein, die es in den mehr als 100 Jahren erst bis zum heutigen Standard gebracht hat? Muss die Industrie ihre Mittel nicht eher auf erreichbarere Ziele konzentrieren? Beide Fragen dürften schon so manchen Automobilvorstand beschäftigt haben.

Daimler-Chef Dieter Zetsche war noch in Paris 2016 sicher, dass mit den neuen Batterien der Vorteil der Wasserstofftechnologie bei Lade- oder Tankzeit und Reichweite schwinde. Erst „wenn die Energiepolitik in der noch offenen Frage der Energiespeicherung die Wasserstofferzeugung als Antwort sieht“, werde die Brennstoffzelle interessant. „Damit ist die Brennstoffzelle nicht tot, und wir werden auch – wie angekündigt – eine Stückzahl auf die Straße bringen.“ Sein damaliger Entwicklungsvorstand Thomas Weber hatte da eine eigene Perspektive: „Vielleicht verurteilen alle viel zu früh dieses Thema Brennstoffzelle.“

Auch unter dem neuen Entwicklungsvorstand Ola Källenius ist das Thema ganz offensichtlich noch nicht tot. Denn im Januar fand im Rahmen des World Economic Forums (WEF) im schweizerischen Davos das erste Treffen der 13 Gründungsmitglieder des „Hydrogen Council“ statt. An dieser Allianz beteiligen sich zunächst Air Liquide, Alstom, Anglo American, BMW, Daimler, Engie, Honda, Hyundai, Kawasaki, Shell, Linde, Total und Toyota. Die Mitglieder investieren bisher jährlich 1,4 Milliarden Euro in Entwicklung und Industrialisierung der Brennstoffzellentechnik – „peanuts“ im Vergleich zu den Entwicklungsetats der Branche weltweit.

Um zu zeigen, wie ernst die Unternehmen Brennstoffzelle und Wasserstofftechnologie nehmen, unterzeichneten die CEOs der beteiligten Unternehmen die Gründungsurkunden der Allianz, deren beide Vorsitzenden aus unterschiedlichen Regionen und Branchen kommen müssen: Den Anfang machen Benoît Potier, CEO von Air Liquide, und Takeshi Uchiyamada, Vorsitzender von Toyota.

Doch solche Selbstverpflichtungen sind der eine Pol der Wirklichkeit, den anderen liefern die veröffentlichte Meinung und die Politik. In Deutschland wird die Diskussion zurzeit von der Illusion beherrscht, das batterieelektrisch betriebene Auto sei die Lösung aller Probleme. Alle Hinweise auf Fakten, die anderes belegen, werden geflissentlich übergangen. Selbst die Feststellung, dass der ökologische Fußabdruck eines Elektroautos mit Batterie größer ist als der eines Diesels, führt nicht zum Nachdenken. Nichts scheint die Gewissheit erschüttern zu können, dass die Batterie die Technologie der Stunde ist.

Das stimmt sicher für viele Einsatzgebiete eines Elektroautos. Doch es gibt eben eine Alternative zur Batterie, die gleich mehrere Aufgaben bewältigen kann. Ein Wasserstofftank lässt sich fast genauso schnell befüllen wie ein Benzin- oder Dieseltank. Auch die mit einem Tankvorgang erreichbare Reichweite ist immer noch größer. Wasserstoff fällt in vielen Industrien als Abfallprodukt an. Aber wichtiger als diese Resteverwertung ist die Möglichkeit, die der Wasserstoff bei der Energiewende und bei der Einsparung fossiler Brennstoffe bietet: Als Überschuss aus der Photovoltaik und der Windenergie kann der Strom dafür genutzt werden, mit Hilfe der Elektrolyse Wasserstoff zu produzieren.

Doch die Priorität der Politik und auch der deutschen Automobilhersteller liegt bei der Batterie. So fördern beide Seiten eine in die Tausende gehende Zahl von Ladestationen, obwohl mit den Energieversorgern noch nicht einmal geklärt ist, wie sie die geforderten Mengen der elektrischen Energie zu den Ladestationen schaffen wollen. Da fließen Ströme, die in einer Kleinstadt auch schon einmal wegen Überlastung das Licht ausgehen lassen können. Die Beteiligten sind daher stolz auf das Wasserstoff-Programm, mit dem sie zunächst 50 und später 100 Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland aufbauen wollen. Gerechterweise wird darauf hinzuweisen sein, dass beim Wasserstoff die Infrastruktur zur Versorgung der Tankstellen auch noch nicht klar ist.

Versuchsflotten haben wir schon viele gesehen: Mercedes-Benz A-Klassen in Kalifornien in den 90er-Jahren, B-Klasse F-Cell, General-Motors-Vans mit Brennstoffzellen und so weiter. Doch wie es beim Fahrzeugbau vorangeht, spricht eher dafür, dass die Henne doch aufs Ei wartet. Was sich in den vergangenen Monaten in Sachen Fahrzeugtechnik nach vorn bewegt hat, bleibt übersichtlich. Hyundai und Toyota mussten sich über die Reihenfolge der Premieren einigen. Geeinigt haben sie sich auf die Aussagen, die Koreaner hätten mit dem Modell ix35 sei das erste Serien-SUV mit Brennstoffzellenantrieb gebracht, der Toyota Mirai sei deswegen die erste Serien-Limousine. Beide müssen sich die Frage gefallen lassen, wie sie den Begriff „Serie“ definieren; Hyundai muss man zugutehalten, dass ihr ix35 normal zu kaufen ist.

Honda beteiligt sich mit dem Clarity Fuel Cell nicht an dieser Diskussion. Brachmann und seine wenigen Mitstreiter in Europa zeigen sich eher stolz auf ihr Brennstoffzellenaggregat als auf die Rangfolge. Das ist rund ein Drittel kleiner, entwickelt eine deutlich höhere Leistung und passt in den Motorraum unter die Haube. Es geht also weiter, wenn auch langsam und zum Teil mit reduzierter Kraft. Hyundai hat die nächste Generation angekündigt. Toyota wird ebenfalls weitermachen. Bei General Motors dürfen wir gespannt sein, wie es weitergeht, nachdem die Rüsselsheimer die Segel streichen mussten. Was bei PSA nach der Opel-Übernahme geschieht, wird auch spannend zu beobachten sein.

VW-Markenchef Herbert Diess setzte bei seinem Jahresgespräch Anfang Mai überraschend einen Akzent zur Brennstoffzelle, als er sagte, neben herkömmlichen Verbrennungsmaschinen und reinen Elektroantrieben arbeite Volkswagen intensiv an der Brennstoffzelle als potenzielle Motorisierung künftiger Fahrzeuge. „Wir stufen die Brennstoffzelle als sehr relevant ein”, sagte Diess. Der Topmanager meint allerdings, die Einführung werde zunächst im Premiumsegment erfolgen, denn die Brennstoffzelle sei „kostspielig und voluminös”. Nun, der Clarity zeigt, dass die Größe zu beherrschen ist. Und zum Preis der Brennstoffzelle hat Honda-Brachmann auch eine Aussage parat: Die Brennstoffzelle der Zukunft dürfe nicht mehr Platin enthalten als ein heutiger Abgaskatalysator.

Es gibt also noch viel zu tun für die Entwickler, damit es der deutschen Industrie mit der Brennstoffzelle nicht so geht wie bei den Hochleistungsbatterien fürs Elektroauto: Die Zellen, aus denen eine Batterie zusammengebaut wird, stammen zu fast 100 Prozent aus Asien. Die deutschen Automobilhersteller hatten Ende der 1990er-Jahre den Spaß am Elektroauto und an modernen Batterietechnologien verloren. Heute erweist sich das als Fehlentscheidung von strategischer Dimension, die beim Auto der Zukunft ein weiteres Stück der Wertschöpfung nach Übersee verlagert. (ampnet/Sm)

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