Extrem: Hydrostatisches Getriebe für VDJ7 und GRJ7

Hydrostatische Getriebe? Kennt man sonst nur aus Baumaschinen oder sonstigen fahrbaren Geräten für den schweren Einsatz. Extrem Fahrzeuge aus Schwenningen bietet eine solche Lösung ab 2020 für den Land Cruiser J7 an. Und das ist eine ziemlich coole Sache.

Ein kurzer technischer Exkurs vorab:

Handgeschaltete mechanische Getriebe haben bei sehr geringen Geschwindigkeiten ein paar spezifische Nachteile. Die geringste Geschwindigkeit wird vom Verhältnis von Motor-Leerlaufdrehzahl und der kleinsten Übersetzung bestimmt, und an besonders kniffligen Stellen muss dann mit der einzig möglichen Variablen, der Kupplung, gespielt werden. Das ist unpräzise und bekanntermaßen nicht gut fürs Material. Wird man dann etwas schneller, muss man den Gang wechseln, wobei jeder Gangwechsel mit einem Kupplungsvorgang verbunden ist – und damit mit einem kurzfristigen Verlust des Kraftschlusses, mit Lastwechseln, mit Kraftspitzen. Und die plötzlich veränderte Drehzahl geht auch mit einem veränderten Drehmoment einher. Natürlich geht das, und ein versierter Fahrer kann damit locker-lässig und materialschonend umgehen. Dennoch gibt es Situationen, in denen ein handgeschaltetes Getriebe nicht die Kontrolle verspricht, die man jetzt gerade gerne hätte. Deshalb vermeidet man im Gelände Schaltvorgänge in aller Regel, aber man kommt auch nicht immer drumherum.

Die nächste Stufe ist ein automatisches Getriebe: Der Kraftschluss erfolgt über einen Drehmomentwandler, der Kupplungsvorgang entfällt, Anfahrvorgänge können weich und übergangslos ausfallen…der Komfort steigt, die Kontrolle ebenfalls. Moderne Automaten sind zugegeben schlicht und ergreifend ein Traum der Antriebskultur, und Lastwechsel beim Schaltvorgang fallen kaum noch ins Gewicht.

So lässig sich so ein Automatikgetriebe auch fahren lässt: Für schwere Arbeitsmaschinen wie Bagger, Radlader, Gabelstapler ist das immer noch ein viel zu grober Klotz. Sie brauchen maximale Kontrolle bei geringsten Geschwindigkeiten und greifen deshalb auf eine dritte Variante der Kraftübertragung zurück: Strömungsgetriebe. Diese hydraulischen Getriebe wandeln das Drehmoment meist stufenlos und werden nach zwei unterschiedlichen Arbeitsprinzipien unterteilt: Hydrodynamische Getriebe arbeiten mit niedrigem Druck und hohem Ölstrom (der Drehmomentwandler im Automatikgetriebe arbeitet z.B. hydrodynamisch), Hydrostatische Getriebe arbeiten umgekehrt mit sehr hohen Öldrücken und niedrigen Ölströmen. Beides ermöglicht, das Fahrzeug maximal kontrolliert mit hohem Drehmoment bereits im Millimeterbereich zu bewegen.

Der Verbrennungsmotor treibt dabei eine Hydraulikpumpe an, die ihrerseits Öl durch den Hydraulikmotor pumpt. Durch stufenloses Ändern dieses Ölflusses wird eine stufenlose Übersetzung erreicht. Hydrostatische Antriebe kombinieren dabei eine sehr hohe Leistungsdichte bei gleichzeitiger geringer Baugröße.

Zusammengefasst: Hydrostatische Getriebe haben große Vorteile, wenn es um die fein dosierte Bewegung großer Lasten bei niedrigen Geschwindigkeiten geht, streichen allerdings die Segel, wenn die Geschwindigkeiten höher werden.

Der österreichische Getriebehersteller VDS hat sich genau um diesen spezifischen Nachteil Gedanken gemacht und legt sein “VTP Getriebesystem” deshalb leistungsverzweigt aus: Es arbeitet im rein hydrostatischen Leistungsbereich und, je nach Ausführung, zusätzlich mit bis zu drei Überlagerungsbereichen. VDS spricht von der “idealen Konfiguration von mechanischen Komponenten und Variatoren”. Kernelement ist dabei ein Doppelplanetensatz am Getriebeausgang: Der Umkehrplanetensatz ist nur bei geringen Geschwindigkeiten im rein hydrostatischen Betrieb aktiv, im zweiten Planetensatz findet die Überlagerung von mechanisch und hydrostatisch übertragener Leistung statt.

Das heißt im Klartext: Im Kriechgang erfolgt die Kraftübertragung hydrostatisch und dadurch mit maximaler Kontrolle, bei höheren Geschwindigkeiten wieder rein mechanisch und damit sehr flexibel. Die Umschaltung erfolgt dabei ohne Unterbrechung der Zug­kraft – alles wird über die Planetensätze gesteuert sowie überlappendes Schließen einer Kupplung. Die weitere Anpassung der Übersetzung erfolgt ebenfalls über die Planetensätze, das Ganze ist also ein stufenloses Getriebe.

Das Fahren im hydrostatischen Bereich ist im ersten Moment ungewohnt und braucht eine kurze Eingewöhnung: Wenn man vom Gas geht, bleibt die Fuhre nämlich einfach urplötzlich stehen. Das Fahrzeug kann nicht “ausrollen”, das liegt in der Natur des Antriebskonzeptes: Der Hydrostat kann nicht “geschoben” werden. Das hat natürlich auch große Vorteile, denn im Gelände entfällt nicht nur die Benutzung der Kupplung, sondern auch weitestgehend die des Bremspedals. Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist das schlicht traumhaft zu fahren.

Braucht man sowas? Der “Otto normal”-Offroader definitiv nicht. Spezialanwender aus Minen-, Bau-, Kommunal- und ähnlichen Branchen werden sich allerdings die Finger danach lecken, sind doch für die vergleichsweise kompakten Land Cruiser plötzlich noch ganz anderen Anwendungen Tür und Tor geöffnet, für die man bis dato weitaus größere Maschinen braucht.

Angeboten wird das System ab 2020 für GRJ7x / VDJ7x, ein Preis steht noch nicht fest.

Datenblatt: 2019-08 VDS Extrem Hydrostat J7

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