Ich erinnere mich noch sehr gut an den ersten Land Cruiser J7, den ich zu Gesicht bekam: Es war Frühjahr 1986, vor ziemlich genau einem Jahr wurde diese Baureihe in Deutschland vorgestellt und mein alter Herr brachte einen LJ73 für eine Probefahrt mit nach Hause. Ihn, den eingefleischten Mercedes-Fahrer, hatte das Allradfieber gepackt, und gerade für die täglichen Baustellentermine waren diese hochbeinigen Kisten einfach deutlich besser geeignet.
Und da stand er nun vor mir, und ich bekam große Augen: Anthrazit war er, mit weißem Hardtop, den üblichen 205er Teerschneidern und roten „Turbo“-Emblem im Kühlergrill. Und er roch, wie damals neue Autos aus Nippon rochen. Bei der ersten Probefahrt war ich völlig aus dem Häuschen: Die hohe Sitzposition, der separate Schalthebel für den Allradantrieb, der gemütlich vor sich hintuckernde Diesel…für mich war das der schiere Wahnsinn, ich wollte nicht mehr aussteigen. Und das geht mir heute noch so.
Toyota war zu dieser Zeit lange kein Neuling mehr auf dem deutschen Markt. Seit 1971 wurden hierzulande offiziell Toyota-Fahrzeuge vertrieben, seit 1977 auch der Land Cruiser. Der bislang angebotene J4 jedoch, mit dem sich der Land Cruiser als unzerstörbare Vielzweckmaschine in die Köpfe der Nutzer eingebrannt hatte, war erkenn- und fühlbar ein Arbeitsgerät. Das Konzept kam aus den Fünfzigern, und so benahm sich der J4 auch: Laut, durstig, hemdsärmelig. Seine Zeit war vorüber.
Seit Anfang der Achtziger war zudem spürbar, dass sich die Kundenwünsche stetig weiter ausfächerten und man mit der bisherigen Modellpalette nicht mehr alle Zielgruppen erreichen konnte, ohne unerwünschte Kompromisse einzugehen. Waren der japanischen Kundschaft die J4 zu raubeinig, beklagte man sich auf der arabischen Halbinsel über ihre zunehmende Verweichlichung. Und der Wettbewerb um die komfortorientierte Klientel nahm zu: Neben den angestammten Allrad-Herstellern kamen Anfang der Achtziger nun auch Datsun mit dem Patrol 160 und Mitsubishi mit dem Pajero um die Ecke. Diesen modernen Entwicklungen musste Toyota adäquat begegnen, durfte jedoch gleichzeitig die wichtige Klientel derer nicht vernachlässigen, die den Land Cruiser als reines Arbeitsgerät brauchten.
Toyota ging dieses Problem mit der üblichen Konsequenz an und entschied sich folgerichtig zu einer Teilung der Baureihe. So kamen also im November 1984 gleichzeitig zwei verschiedene neue Land Cruiser auf den Markt: Die robusten, blattgefederten Heavy-Duty-Arbeitstiere ersetzten den legendären J4. Ihre etwas komfortableren, rundum schraubengefederten und auf den Europäischen Geschmack abgestimmte Brüder wandten sich an eine neue Zielgruppe: Der „Light Duty“ war geboren – ein Fahrzeug, das von vornherein eher auf Personentransport ausgelegt war und den Grundstein für die von nun an parallel fortgeführte Baureihe „Bundera“ bzw. (ab 1990) „Prado“ legte. Die dritte Baureihe neben „Land Cruiser“ und „Land Cruiser Station Wagon“ traf den Nerv der Käuferschicht exakt und befeuerte damit einen wahren Boom im Geländewagenmarkt: Über 300.000 Exemplare liefen vom J7 Light Duty vom Band, und wenn man seine Nachfolger bis zum aktuellen J15 einrechnet, wurden mittlerweile weit über 2 Millionen Prado-Exemplare verkauft. Eine Erfolgsstory.
Die Modellvielfalt des J7 war und ist schier unerschöpflich: Gab es vom J4 rund 30 verschiedene Modelle, waren es beim J7 bislang um die 120. 2 Grundkonzepte, 5 Radstände, 22 Motoren und über 20 verschiedene Karosserievarianten wurden so lange variiert, bis beim Kunden wirklich keine Wünsche mehr offen blieben. Zusammen mit der Toyota-üblichen Nomenklatur mündet das bisweilen in einiger Verwirrung, was man denn nun eigentlich vor sich hat: So folgt 78 auf 75, 76 jedoch auf 77. Ein HZJ78 ist ein Heavy Duty mit 4,2-Liter Saugdiesel, ein KZJ78 jedoch ein „Light Duty“ Prado mit 3-Liter Turbodiesel. Knoten im Hirn sind vorprogrammiert, lassen sich jedoch mit ein wenig Information größtenteils entwirren: In „HZJ78“ steht das „HZ“ für den Motor, das „J“ für Land Cruiser, die „7“ für die Baureihe und die nachfolgende „8“ für das Modell innerhalb dieser Baureihe.
Bundera und Prado, also die schraubengefederten Light-Duty-Modelle, gab es mit kurzem, mittlerem und „semi“-Radstand. Bei den blattgefederten bzw. ab 1999 blatt-/schraubengefederten Heavy-Duty-Modellen gab es zusätzlich den langen und den superlangen Radstand.
Eine der interessantesten Kombinationen war dabei der fünftürige Prado, der zwar der beste (und in meinen Augen überlegene) Konkurrent zu Patrol, Pajero und Co. war, hierzulande jedoch nie in den Handel kam. Eine Produktentscheidung, die sich im Nachhinein als eher unvorteilhaft entpuppte.
Im Jahre 1990 vollzog die J7-„Prado“-Reihe mit einem Facelift den Übergang zum Lifestyle-Fahrzeug mit PKW-ähnlichen Komfortmerkmalen: Die Front wurde runder, die Ausstattung reichhaltiger, die Motoren deutlich stärker…kurzum: Der Prado wurde zum Lifestyle-Fahrzeug, das jedoch nach wie vor keine Kompromisse in den Geländeeigenschaften machte. Und endlich gab es auch eine Motorisierung mit „WUMMS“: Mit dem direkteingespritzten 3-Liter-Turbodiesel 1KZ-T schloss der Prado endlich zum Wettbewerb auf und machte von nun an auch richtig Spaß.
Dennoch: Mitte der Neunziger kam auch der Light Duty langsam ein wenig in die Jahre. Er hatte den europäischen Allrad-Markt erst so richtig in Schwung gebracht, war jedoch mittlerweile auch das älteste Fahrzeugkonzept. Pajero und Co. nutzten diese Lücke und preschten mit Wucht hinein. Und so war 1996 dann auch Schluss für ihn: Der Nachfolger J9 stand in den Startlöchern.
Der arbeitsame Bruder des Light Duty blieb weiterhin im Programm und stand weiterhin den Hilfsorganisationen, Minengesellschaften, Farmarbeitern und Fernreisenden als kompromissloses Arbeitstier zur Verfügung. Über die Jahre hinweg wurde er behutsam an die Erfordernisse des Marktes angepasst: Erst 1999 bekam der J7 vorne Schraubenfedern, 2007 dann seine jetzige, modernere Front. Der August 2009 markierte einen besonderen Wendepunkt: Als Antwort auf sich verändernde Anforderungen bei Großkunden wurden endlich auch Airbags für Fahrer und Beifahrer eingeführt. Und dafür brauchte man natürlich ein neues Armaturenbrett: Zum ersten Mal seit 58 Jahren sahen die Insassen nun kein Stückchen nackten Bleches mehr vor sich.
Darüber hinaus war und ist weiterhin Schlichtheit angesagt: Ausgerüstet mit einem nahezu unzerstörbaren und hoffnungslos unterforderten Saugdieselmotor und wichtigen Dingen wie Schnorchel, Zyklon, zweitem Dieselfilter und Wasserabscheider, sind Fensterheber, Zentralverriegelung, Servolenkung und seit neuestem auch ABS und Airbags die Krone des verfügbaren Luxus – und die Grenze des Sinnvollen.
Im August 2012 folgte als bislang letzte Karosserievariante endlich auch ein neuer Doppelkabiner Pick-up, und auch das geschah wieder auf Drängen der Großabnehmer: Ohne Änderung am Radstand bekam der 79 eine viertürige Kabine, eine kürzere Ladefläche und drei mögliche Motorisierungen. Allerdings ist er – ein Wermuthstropfen, wie so oft in der Land-Cruiser-Geschichte – offiziell nur in Australien und Südafrika erhältlich. Ein Schicksal, das auch dem brachialen V8-Turbodiesel beschieden ist, der 2007 eingeführt wurde: Diese Traummaschine gibt es leider nur in rechtsgelenkten Varianten.
Um diesen traurigen Fakt ein wenig abzumildern, kommen wir jedoch noch einmal auf den Fünftürer zurück, den es ja auch als Heavy Duty gibt: Mit den modernen Maschinen, der runden Front und den aktuellen Sicherheitsstandards ist er mithin der beste Kompromiss, den man in der Land-Cruiser-Welt eingehen kann. Und man kann ihn hierzulande über den freien Import in einer absoluten Traumvariante erwerben. Mit Metalliclack, Kotflügelverbreiterungen und dem 4-Liter-Benziner 1GR-FE unter der Haube hat man dann einen Heavy Duty im edlen Zwirn, der in seiner Erscheinung so wunderbar unaufdringlich und lässig wirkt wie kaum ein anderer Land Cruiser.
Heutzutage sind gute Exemplare der J7 Bundera bzw. Prado nicht allzu leicht zu finden. Wie sein Cousin J6 steckt auch der J7 in einer Art Zwischenwelt: Noch ist er kein richtiger Klassiker, aber modern ist er schon lange nicht mehr, für die meisten Käufer ist er schlicht uninteressant. Und so wurden die meisten Exemplare auch heruntergeritten, exportiert, auseinandergerissen, bis zur Unkenntlichkeit umgebaut oder lösten sich in rostbraunem Wohlgefallen auf. Glücklicherweise ändert sich das so langsam, und es tauchen mehr und mehr schöne Restaurationsgeschichten auf.
Der J7 Heavy Duty hingegen scheint eine Geschichte ohne Ende zu sein – noch. Ging der J4 offiziell (wenn wir ein paar Sonderversionen und den Bandeirante einmal außer Acht lassen) nach 24 Jahren in Rente, hat der J7 nun schon 30 Jahre hinter sich. Und im Jahre 2012 bestätigte Land-Cruiser-Chefingenieur Sadayoshi Koyari auch noch, dass kein Ende abzusehen wäre. Ein wenig später bröckelte diese beruhigende Gewissheit jedoch schon: Im Spätjahr 2012 gab es bereits erste Gerüchte, dass der J7 in Australien nur bis 2018 liefe, da spätestens dann bei den großen Minengesellschaften deutlich schärfere Sicherheitsbestimmungen greifen werden. Und diese Großabnehmer waren schon immer Triebfeder der J7-Entwicklung: In Australien gehen über 60% der J7 an die großen Flottenbetreiber, entsprechend groß ist ihr Einfluss auf die Entwicklung.
Toyota hat in den letzten Jahren hart am J7 gearbeitet. Das war nicht immer ein Fortschritt, wenn man z.B. an die signifikante Häufung von Getriebeproblemen beim aktuellen Modell denkt. Dennoch: ABS, Airbags, drei Sterne im ANCAP Crash Rating, Doppelkabiner, V8-Turbodiesel – dies alles sind wahre Evolutionssprünge für einen Gussbrocken wie den J7. Aber es ist eben auch das Ende der Fahnenstange, wie Toyota schließlich zugeben musste. Bald werden die ersten Großkunden ein 5-Sterne-Rating fordern, und das ist mit dem J7 nicht mehr machbar. Der Hilux wird problemlos auf dieses Level gehoben, gleichzeitig entschied man sich jedoch konsequenterweise dafür, den J7 nicht mit Seitenairbags, Stabilitätskontrolle und ähnlichem auszustatten. Und hätte Minengigant BHP Billiton die letzte Anpassung ihrer Sicherheitsanforderungen ein wenig früher bekanntgegeben, wäre auch der Doppelkabiner sicherlich nicht mehr auf den Markt gekommen.
Man kann es drehen, wie man will: Die Ära des legendären Land Cruiser J7 geht ihrem Ende zu. Wann, das ist derzeit noch nicht gewiss, ein paar Jahre hat er sicher noch vor sich.
Aber Toyota wäre nicht der weltgrößte Autobauer, wenn das Wort „aufgeben“ in ihrem Wortschatz existierte: Letztes Jahr sickerte durch, dass bereits an einem möglichen Nachfolger gearbeitet wird, was Chefingenieur Sadayoshi Koyari schließlich auch bestätigte. Was uns dann erwartet, das steht noch in den Sternen, aber eines ist sicher: Die Ablösung des J7 wird eines der erschütterndsten und meistbeobachteten Ereignisse im Allrad-Segment sein. Und Toyota wird sehr viel Augenmerk auf eine konsequente Entwicklung des Nachfolgers legen: Der J7 ist der Kern von „Toyota QDR“: „Quality, Durability, Reliability“ (Qualität, Haltbarkeit, Zuverlässigkeit) sind die Grundsätze des wichtigsten Toyota-Entwicklungskonzeptes, und der J7 verkörpert diese Werte par excellence. Der Land Cruiser bescherte Toyota den Nimbus der Zuverlässigkeit, von dem die Marke gerade in Zeiten vermehrter Qualitätsdiskussionen immer noch zehrt, und das Qualitäts-Zugpferd muss diesen Anspruch auch weiterhin erfüllen. Die Toyota-Entwickler wissen um die Verantwortung in ihren Händen. Und um den enormen Spagat, den sie vollführen müssen: Steigende Auflagen für Emission und Sicherheit machen ein Fahrzeugkonzept weder einfacher noch günstiger, und Komplexität und Kostendruck sind Gift für die Haltbarkeit. Hoffen wir, dass dieser Spagat gelingt.
Gäbe es die zuvor genannten Änderungen der Sicherheitsbestimmungen und die zunehmend strikten Emissionsrichtlinien nicht, würde die Baureihe J7 für immer und ewig weiterlaufen: Dieses Fahrzeug ist einfach die nahezu perfekte Lösung für einen sehr spezifischen Anwendungsbereich. Und so wird der J7 auch weiterhin in den entlegensten Winkeln der Erde unter härtesten Bedingungen seinen Job verrichten. Als zuverlässiges Arbeitsgerät für all jene, die gut auf Firlefanz verzichten können. Wie ein australisches online-Magazin einmal so schön schrieb: “It may be old-school, but it’s a hell of a truck.”
P.S.:
Mein Alter Herr hatte sich damals übrigens gegen den Land Cruiser und für den Nissan Patrol entschieden. Das war genau das Problem der Bundera von 1984 bis 1990: Mit dem geringeren Platzangebot (im Vergleich zum Patrol 160 z.B.) hätte er leben können, aber das schwachbrüstige 2,4-Liter-Motörchen unter der Haube wollte er sich dann doch nicht antun. Nissan kam damals mit einem absolut überirdisch brachialen 3,3-Liter-Sechszylinder-Turbodiesel auf den Markt, der im Standgas Einfamilienhäuser vom Fundament gezogen hat und das japanische Scheunentor auch dauerhaft und komfortabel mit 160 Sachen laufen ließ. Dass er in vielen anderen Aspekten dem Land Cruiser einfach hinterherhinkte (nicht zuletzt bei seinen Leistungen im harten Gelände), war da nebensächlich…denn mit Bumms werden die Grenzen eines Fahrzeuges bekanntlich erstaunlich weit verschoben. Und der Patrol machte einfach vieles mit, auch wenn man ihn übelst und weit über seine Grenzen hinaus missbraucht hat. Das große Manko im Antrieb wurde erst mit dem Prado ab 1990 aus der Welt geschafft: Nun war der Land Cruiser Light Duty mit seinen spritzigen 3-Liter-Motoren absolut adäquat motorisiert.
Land Cruiser J7 „Heavy Duty“
1984 – heuteMotoren: 3B, 13B-T, 1PZ, 1HZ, 2H, 1HD-FTE, 1VD-FTV, 3F, 1FZ-F, 1FZ-FE, 1GR-FE, VM66A (VM), ADE236 (Atlantis)
Radstände:
Short 2310 mm: J70/J71
Middle 2600 mm: J73/J74
Semi 2730 mm: J77/J76
Long 2980 mm: J75/J78
Super Long 3180 mm: J79
Land Cruiser J7 „Light Duty“
1984 – 1990 (Bundera)
1990 – 1996 (Prado)Motoren: 2L, 2L-T, 2L-T II, 2L-TE, 3L, 1KZ-T, 1KZ-TE, 22R, 22R-E
Radstände:
Short 2310 mm: J70/J71/J72
Middle 2600 mm: J73/J74
Semi 2730 mm: J77/J78/J79
Anmerkung: “Heavy Duty” und “Light Duty” sind keine offiziellen Bezeichnungen, sie dienen an dieser Stelle nur der besseren Unterscheidung!
Heute gibt es drei Land-Cruiser-Baureihen: “Land Cruiser” (das ist der J7), “Land Cruiser Prado” (das ist der J15) und “Land Cruiser Station Wagon” (das ist der J20).
Die ganze Geschichte gibt es hier: „Legende Land Cruiser“, Alexander Wohlfarth, Heel Verlag, ISBN 978-3-86852-213-6, EUR 39,95…bestellbar gerne direkt bei mir: netzmeister@buschtaxi.de 🙂
(Dieser Text aus meiner Feder erschien – bis auf kleine Änderungen – ebenfalls in der OFF ROAD 06/2014 – zeigt der Off Road Eure Liebe, rennt zum Kiosk und kauft sie! 🙂 )
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