In den letzten Tagen ging mehr als nur ein wildes Raunen durch die Auto-Szene: Bei der EU liegt ein Vorschlag, der auf den ersten und auch auf den zweiten Blick ein herber, teils vielleicht gar katastrophaler Schlag gegen Autoschrauber- und Sammler werden könnte.
Da es dazu eine Menge Durcheinander und auch sehr viel unnötige Übertreibungen und Fantasien gibt, fassen wir hier noch einmal kurz den Stand der Dinge zusammen. Der Artikel wird nach und nach ergänzt, wenn sich neues ergibt.
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Der Titel des Papiers:
“Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über Anforderungen an die kreislauforientierte Konstruktion von Fahrzeugen und über die Entsorgung von Altfahrzeugen, zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/858 und (EU) 2019/1020 und zur Aufhebung der Richtlinien 2000/53/EG und 2005/64/EG”
Grundsätzlich geht es hier also um den Vorschlag zur Neuregelung der Wiederverwertung. Im Zuge dessen sollen auch die Begriffe für Alt- und Gebrauchtfahrzeuge neu definiert werden. Grundsätzlich geht es darum, die Berge von alten Karren zu reduzieren, die irgendwo unbeachtet vor sich hingammeln, unkontrolliert auseinandergerissen oder ins Ausland “entsorgt” werden. Die EU möchte sicherstellen, dass Schrott auch ordentlich der Verwertung zugeführt wird. Das ist grundsätzlich nicht der schlechteste Gedanke, der Weg ist jedoch wie immer bürokratisch über alle Maßen, unzureichend formuliert und völlig übers Ziel hinausgeschossen. Stein des Anstoßes sind u.a. die Einrichtung eines “Registers”, in dem alle Gebrauchtfahrzeuge erfasst werden sowie die Neuregelung der Begrifflichkeiten “Alt- und Gebrauchtfahrzeuge”. Folgt man der jetzigen Entwurfsfassung, kann das u.a. bedeuten, dass Fahrzeuge z.B. mit Motorschaden (der als nicht reparabel eingestuft wird) in die Presse wandern, Kulturgut und Sammlerwert hin oder her.
Da muss also, nach unserer Lesart, noch ordentlich nachgebessert werden.
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Die Originaldokumente durchzuackern und sich auf den Gesetzgebungs-Sprech einzulassen ist mühsam und kompliziert, wie immer bei derlei Dingen. Aber es ist auch der einzige Weg, tatsächlich zu erfahren, was da passiert. Die im Netz umhergeisternden halbgaren Meldungen jedenfalls sind wenig erhellend. Wir halten es für wichtig, diesem kruden Papier nicht noch Halbwahrheiten und Erfindungen hinzuzufügen, das bringt uns nämlich keinen Meter weiter.
Hier kann man sich also ein eigenes Bild machen:
Deutsche Version der Vorlage:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0451
Englische Version:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/HTML/?uri=CELEX:52023PC0451
Die Richtlinie 2014/45/EU (Technische Überwachung):
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0045&from=IT
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_23_3819
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/qanda_23_3820
https://environment.ec.europa.eu/topics/waste-and-recycling/end-life-vehicles_en
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Fokus Online hat eine Zusammenfassung erstellt:
https://amp.focus.de/auto/gebrauchtwagen/gebrauchtwagen-eu-soll-angeblich-zwangs-verschrottung-planen_id_259518091.html
Die Auto BILD hat es hier zusammengefasst:
https://www.autobild.de/artikel/eu-alt-auto-verordnung-neufassung-betrifft-oldtimer-23873023.html
Beide Medien sehen es als nicht ganz so kritisch an und geben “Entwarnung” und beziehen die Regelungen vor allem auf den Export: Es soll verhindert werden, dass Schrott der ordentlichen Verwertung entzogen und außer Landes geschafft wird. Grundsätzlich ein hehres Ziel.
Wir sehen jedoch nicht, dass sich die vorgeschlagenen Regelungen nur auf den Export beziehen. In Abschnitt 3 “Sammlung von Altfahrzeugen” steht unter Artikel 24 Satz 1 “Alle Altfahrzeuge werden zur Verwertung an zugelassene Verwertungsanlagen übergeben.”. In Artikel 26 wird der Fahrzeugeigner dazu verpflichtet, “das Altfahrzeug unverzüglich an eine zugelassene Verwertungsanlage oder – in den in Artikel 23 Absatz 4 genannten Fällen – an eine Sammelstelle übergeben, nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass das Fahrzeug eines der in Anhang I Teil A Nummern 1 und 2 festgelegten Kriterien für die Irreparabilität erfüllt;” Die jedoch, die Kriterien für Irreparabilität nämlich, sind realitätsfremd formuliert. Mehr dazu weiter unten.
Schauen wir uns die Definition “Oldtimer” an:
Kapitel 1 Artikel 2 Absatz 2 Satz d sagt:
“Diese Verordnung gilt nicht […] für Fahrzeuge von historischem Interesse im Sinne von Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 2014/45/EU.”
Kapitel 1 Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 2014/45/EU sagt:
“Ausschließlich für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […] „Fahrzeug von historischem Interesse“ ein Fahrzeug, das von dem Mitgliedstaat, in dem die Zulassung erfolgt ist, oder von einer seiner dazu ermächtigten Stellen als historisch betrachtet wird und alle der folgenden Voraussetzungen erfüllt:
— es wurde vor mindestens 30 Jahren hergestellt oder erstmals zugelassen,
— sein gemäß dem einschlägigen Unions- oder einzelstaatlichen Recht festgelegter spezifischer Fahrzeugtyp wird nicht mehr hergestellt,
— es ist historisch erhalten, im Originalzustand bewahrt und die technischen Merkmale seiner Hauptbauteile wurden nicht wesentlich verändert;”
Fahrzeuge im Originalzustand mit TÜV und bestenfalls Zulassung sind also “fein raus”. Das mag für jene Klientel eine gute Nachricht sein, die auf der Klassik-Messe in Halle 1 mit Champagner-Glas neben ihrem Schmuckstück steht. Für viele andere Schrauber und Sammler ist es das jedoch nicht.
Ein zentraler Teil ist die Definition von Gebraucht- und Altfahrzeugen. Kurz gesagt: Ein “Gebrauchtfahrzeug” ist reparabel, ein “Altfahrzeug” nicht. Der Regelungsvorschlag ist allerdings arg schwammig und teilweise fachfremd formuliert (“Risse in der Grundierung” gelten als “technisch nicht reparierbar”, genauso wenn “die Türen nicht an ihm befestigt sind”). Der ganze Teil lautet wie folgt:
Anhang I Teil A:
KRITERIEN FÜR DIE BEWERTUNG DER REPARIERBARKEIT VON FAHRZEUGEN
1. Ein Fahrzeug ist technisch nicht reparierbar, wenn es eines oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllt:
a) Es wurde in Einzelteile zerlegt oder ausgeschlachtet;
b) es wurde zugeschweißt oder mit Isolierschaum verschlossen;
c) es wurde in solchem Maße verbrannt, dass der Motorraum oder der Fahrgastraum zerstört ist;
d) es befand sich bis oberhalb des Armaturenbretts unter Wasser;
e) eines oder mehrere der folgenden Bauteile des Fahrzeugs können nicht repariert oder ausgetauscht werden:
i) Bauteile mit Bodenkontakt (z. B. Reifen und Räder), Federung, Lenkung, Bremsen und deren Steuerelemente;
ii) Sitzverankerungen und -gelenke;
iii) Airbags, Gurtstraffer, Sicherheitsgurte und ihre peripheren Bedienungselemente;
iv) Körper und Fahrgestell des Fahrzeugs;
f) seine Struktur- und Sicherheitsbauteile weisen technische Defekte auf, die unumkehrbar sind und dazu führen, dass diese Bauteile nicht ausgewechselt werden können, z. B. Metallalterung, mehrere Risse in der Grundierung oder übermäßige perforierende Korrosion;
g) seine Reparatur erfordert den Austausch des Motors, des Getriebes, der Karosserie oder des Fahrgestells, was zum Verlust der ursprünglichen Identität des Fahrzeugs führt.
2. Die Reparatur des Fahrzeugs ergibt aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn, wenn sein Marktwert niedriger ist als die Kosten der erforderlichen Reparaturen, um es innerhalb der Union in einen technischen Zustand zu versetzen, der ausreichen würde, um eine Prüfbescheinigung in dem Mitgliedstaat zu erhalten, in dem das Fahrzeug vor der Reparatur zugelassen war.
3. Ein Fahrzeug kann als technisch nicht reparierbar angesehen werden, wenn
a) es sich bis unterhalb des Armaturenbretts unter Wasser befand und der Motor oder das elektrische System beschädigt ist;
b) die Türen nicht an ihm befestigt sind;
c) Kraftstoff oder Kraftstoffdämpfe austreten und eine Brand- und Explosionsgefahr darstellen;
d) Gas aus seinem Flüssiggassystem ausgetreten ist, weshalb eine Brand- und Explosionsgefahr besteht;
e) Betriebsflüssigkeiten (Kraftstoff, Bremsflüssigkeit, Frostschutzmittel, Batteriesäure, Kühlflüssigkeit) ausgetreten sind, wodurch Wasserverschmutzung riskiert wird; oder
f) die Bremsen und Lenkungsbauteile außerordentlich abgenutzt sind.
Und weiter in Teil B:
VORLÄUFIGER KRITERIENKATALOG FÜR ALTFAHRZEUGE
Die folgenden Kriterien können auch als zusätzliche Faktoren herangezogen werden, um festzustellen, ob es sich bei einem gebrauchten Fahrzeug um ein Altfahrzeug handelt:
a) Es fehlen Mittel zur Identifizierung des Fahrzeugs, insbesondere die Fahrzeug-Identifizierungsnummer;
b) der Fahrzeugeigner ist unbekannt;
c) es wurde für mehr als zwei Jahre seit dem Zeitpunkt, zu dem diese zuletzt erforderlich war, keiner nationalen technischen Überwachung unterzogen;
d) das Fahrzeug ist nicht angemessen vor Beschädigungen während der Lagerung, des Transports sowie des Be- und Entladens geschützt; oder
e) es wurde zur Behandlung an eine zugelassene Sammelstelle oder eine zugelassene Verwertungsanlage übergeben.
Sprich: Ist der TÜV abgelaufen oder ist es nicht anständig gelagert, könnte das Fahrzeug als Altfahrzeug eingestuft werden.
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Wir halten das Papier für hochgradig problematisch und haben Zweifel, dass es nachhaltig entschärft wird. Sollte sich an den Definitionen nicht Grundlegendes ändern, öffnet es Tür und Tor, der Old- und Youngtimer-Szene den Hahn abzudrehen. Überall in der Szene gibt es irgendwelchen “Barn Finds”, vor sich hinrottende Teileträger, jahre- oder jahrzehntelang halb fertiggestellte “irgendwann mach’ ich den fertig”-Restaurationen oder Fahrzeugen im unrestaurierten und noch nicht TÜV-baren Zustand. Alle davon fallen nicht unter diese sorgfältig im Elfenbeinturm geschmiedeten Formulierungen. Und darüber hinaus gibt es ja auch noch jede Menge Museumsfahrzeuge, optisch mehr oder minder gepflegt, meist nicht fahrbar, weit entfernt von TÜV und Zulassung. Natürlich wird niemand im Mercedes-Museum auftauchen und die Verschrottung der ausgestellten Fahrzeuge verlangen…aber abgesehen von öffentlich zugänglichen Museen mit entsprechender Lobby gibt es ja unzählige Privatsammlungen. Auch solche, die weit entfernt von Glanz und Gloria einfach nur in Scheunen, Hallen Garagen stehen. Die wenigsten Fahrzeuge davon sind zugelassen.
Und wer bitte wird sich anmaßen, zu entscheiden, welche Sammlung “historisch wertvoll” ist und welche nicht?